Allgäuer Zeitung, Aus dem Kulturleben - Samstag, 7. September 1991

 

 

Vier junge Allgäuer stellten erstmals ihre Werke aus
Wiggensbach (ast).

 

Rote Grableuchten flackern im Raum, düstere Musik läuft als Untermalung, ein weißes Leintuch für den Kurzfilm unterteilt die Halle in zwei Räume: Fast nur Eingeweihte waren es, die an einem Sonntag abend den Weg zu der leeren Werkstatt-Halle in Wendelins, bei Wiggensbach fanden. Vier junge Künstler aus dem Allgäu hatten hier zum ersten Mal einen Abend lang ihre Werke ausgestellt.

Eine melancholisch-depressive Stimmung übten die Gemälde und der weißgekalkte leere Raum auf den Betrachter aus: "Wir haben versucht, unsere Bilder auf diese Wirkung abzustimmen", erklärte Niko Müller. Der 20jährige Kemptener arbeitet hauptsächlich mit Erdfarben, mischt sich aus Leinöl und gesammelter Erde seine Töne: "Erde ist etwas Greifbares". Ein rundes Strichmännchen mit spitzen Zähnen steckt seine Hände wie ein Ertrinkender nach oben, während ein Sog es nach unten zieht. Die dunklen Farben und die Gestik der Hände drücken Angst und Furcht aus. Düster ist auch "Ohne Titel" - gescheiterte Kommunikation nennt Niko Müller die Situation der beiden Kugelmännchen. Spiralen winden sich in ihnen, stellen die Ich-Bezogenheit, die Abgrenzung zum anderen dar.
"Farben habe ich total abgelegt", beschreibt der 21jährige Student Frank Holderied aus Kempten seine Copylagen. Schwarz- Weiß sind die Collagen aus Kopien, die mit Wechselwirkungen von Schrift und Bild arbeiten. Handgeschriebenes, abgezogene Zeitungen, Gedichte, Aphorismen und vor allem Gedanken von und zu Oscar Wilde tauchen immer wieder in den strukturierten Werken auf. Für Oscar Wildes Spruch legt Frank Holderied sogar sein eigenes Gesicht auf den Kopierer: "Die Gesellschaft ist bereit, dem Verbrecher zu verzeihen, dem Träumer nicht." Bettfedern in den einzelnen Feldern eines Kreuzes veranschaulichen das Gesagte.
Ist es eine rosarote Vier oder ein großes A? Große Flächen mit viel Farbe bemalt der 20jährige Peter Reill am liebsten. Wenn Gegenstände in den Gemälden auftauchen, dann verfremdet, "nicht so realistisch". Verschiedene Farbschichten und dicke Pinselstriche geben den beiden "Gelben Bildern" ihre Gestalt. Gelb deshalb, da der Rahmen schon in gelber Farbe im Bild integriert ist. Nicht nur Farben, auch Gedichte inspirieren den Zivildienstleistenden. "Schöne Jugend" von Gottfried Benn ist ein blasses Aquarell, auf dem rosa und grau die Konturen einer Frau erkennbar sind.
Den Rahmen der düster-melancholischen Ausstellung sprengte der Immenstädter Jörg Hagspiel. Während sein Kurzfilm noch einen mystischen Vorschlag fürs Leben bietet, stellt er bei seinem bunten Spielzeugvorhang und dem Globus-Tisch nur noch die Frage: How do you act? - Wie verhalten sie sich? Der Betrachter kann sich aus dem Vorhang herauspicken, wie er das Leben sieht. Ist ihm der gefüllte Geldbeutel, das Jesusbild oder das bunte Spielzeugauto am liebsten? "Ich gebe Vorschläge für das Leben - aussuchen muß sie der einzelne selbst", erläutert der 22jährige Student an einer Pariser Modeschule seinen Weltenvorhang. Ähnlich verläuft es mit dem Tisch: Die Werkzeuge deuten an, wie man mit der Welt fertig wird. Ob spielerisch mit der Quietschente, brutal mit dem Beil oder hinterfotzig mit der Laubsäge. Jörg Hagspiel sieht sich mehr als einen, der Fragen stellt, der mit seinen Werken mehr reflektiert als schafft.