KUNST
MÜNCHNER FEUILLETON · JANUAR 2021 · SEITE 29

 

Noch Geheimtipps oder schon legendär: feine und kleine individuelle Treffpunkte für Kunstfreunde – Teil drei.

 

ERIKA WÄCKER-BABNIK

 

Kunst schaffen ist selten reiner Selbstzweck. Kunst will auch sichtbar werden. Es gibt die etablierten Institutionen, aber bei Weitem nicht jede kreative Äußerung ndet dort ihren Ort. Zum Glück gibt es Menschen, die alternative Kunsträume gründen – Off-Spaces, Vereine oder neue Galerieformate – und sich leidenschaftlich, engagiert und oftmals unentgeltlich dem Vermitteln von Kunst widmen. Idealisten, zumeist Künstler*innen oder Kunsthistoriker*innen, die Kultur mitgestalten wollen. In München gibt es Dutzende dieser individualistischen Initiativen an oft ungewöhnlichen Orten.


Künstlerinnen und Künstlern bei der Arbeit zusehen – auf der Website von @base ist das per Livestream möglich. Der nicht nur virtuell, sondern auch analog existierende Ausstellungsraum ist der neue Off-Space der ERES-Stiftung. Viele Jahre schon engagiert sich die Stiftung gemeinnützig für den Dialog zwischen Naturwissenschaften und Kunst. Zum Ausstellungs- und Veranstaltungsraum in der Römerstraße gesellt sich seit vergangenem September ein Satellit namens @base in der Milchstraße 4. Die Adresse ist in der Münchner Kunstszene hinlänglich bekannt, beherbergt sie doch seit 2009 das »rstr4«, einen der am besten eingeführten Off-Spaces der Stadt. Zusammen mit seinem Betreiber, dem Künstler Philipp Messner, und der Akademie der Bildenden Künste stellt die ERES-Stiftung die @base nun als nichtkommerziellen Projektraum für Studierende zur Verfügung. Dem Konzept der Stiftung entsprechend sollen sich diese in ihrer Arbeit allerdings mit einem (im weit gefassten Sinn) naturwissenschaftlichen Thema auseinandersetzen. Darauf verweist auch der Name @base, der der Wissenschaft und Technik entlehnt ist, wo der Begriff der Basis in ganz unterschiedlichen Bereichen Verwendung findet.


Thema des ersten Jahres ist »Big Data«, mit dem sich die Studierenden der Klasse Peter Kogler im dreiwöchigen Rhythmus erstmals öffentlich ausprobieren können. Zu jeder Position wird von der ERES-Stiftung eine Plakatbroschüre mit Text und Bildern erstellt, die mit allen anderen dokumentierten Arbeiten am Ende in einem Schuber zusammengefasst eine repräsentative Publikation ergeben wird. Um auch über den lokalen Tellerrand zu schauen und die Projekte in einen größeren Kontext einzubinden, sollen vierteljährlich bekannte internationale Künstler*innen für eine eigene Arbeit in den Raum eingeladen werden, auch um die Arbeiten der Studierenden in der Klasse zu besprechen. Den Anfang macht voraussichtlich Mitte/Ende Februar die Londoner Konzeptkünstlerin Goshka Macuga, die von der letzten documenta und der Venedig-Biennale bekannt ist. Zuvor wird Veronika Günther aus der Klasse von Peter Kogler bei der Arbeit im Raum zu sehen sein – virtuell im Netz, analog durch die Schaufensterscheibe – und hoffentlich auch bald wieder im unmittelbaren persönlichen Dialog.


Seit 2007 gibt es in der Amalienstraße das Kunstbüro von Peter Reill, genannt reillplast. Der Name ruft häufig Irritation hervor und wird dann als »reillpalast« gelesen, was seinem Betreiber auch gefällt. Tatsächlich bezieht sich »plast« aber auf Plaste, in der Kurzform, wie es auch in Leukoplast vorkommt. Der durchaus konzeptuell gemeinte Name ist dem Künstler Peter Reill an einem Abend mit Kunststoffbechern in den Sinn gekommen. reillplast ist im Graubereich zwischen Off-Space und Galerie angesiedelt, will heißen, die ausgestellte Kunst kann gekauft werden, aber der Verkauf ist nicht das Ziel und in vielen Fällen auch nicht möglich, weil es sich eben nicht um klassische »Flachware«, sondern um temporäre Wandarbeiten, Installationen oder Raumeingriffe handelt. Peter Reill zeigt sowohl seine eigenen Arbeiten als auch die von Künstlerkolleg*innen. Dabei stehen raumbezogene Projekte klar im Vordergrund. reillplast ist mehr als nur Ausstellungsort, reillplast verfolgt einen programmatischen Ansatz, will mit den ausgewählten künstlerischen Positionen kunstmarkt- und kunstproduktionsspezifische Diskurse und Themen verhandeln. Material und die Idee des Seriellen spielen eine Rolle ebenso wie ein gewisser Bezug zu Phänomenen der Alltagskultur und der Vorstellung von Kunst als Dienstleistung – all das findet sich eben irgendwie gebündelt in dem Begriff »plast«. Unter dem Label reillplast produziert konzipiert und realisiert das Kunstbüro auch Plakate, Plastiken, Fotografien als Editionen sowie publikumswirksame Aktionen.


Ein interessantes Konzept verfolgt Caro Jost mit ihrer Fenstergalerie Eyes Only in der Toreinfahrt zur Galerie von Walter Storms in der Schellingstraße 48. Der nur zwei Quadratmeter große Raum ist von außen durch die Scheibe – nur mit den Augen, eyes only – einzusehen. Seit 2013 bietet die Münchner Künstlerin ihre nichtkommerzielle Minigalerie für die Präsentationen von Kunstprojekten an: Alle zwei bis drei Monate sind eine internationale Kunstinstitution, Sammler und Sammlerinnen, Kurator*innen, Galerist*innnen oder Künstler *innnen eingeladen, eine Ausstellung zu featuren. »Ich als Künstlerin drehe die traditionelle Rollenverteilung um und biete euch das an, was ihr sonst den Künstlern anbietet.« Der Start begann gleich mit einem Paukenschlag – kein geringerer als die Gagosian Gallery, der berühmte, jährlich eine Milliarde Dollar umsetzende Global Player, trat mit einer überraschenden Selbstpromotion auf. In nur kurzer Zeit ist der prominent im Kunstareal liegende Off-Space zu einem begehrten internationalen Showroom geworden. »Die Resonanz bei den Institutionen ist super. Die finden das spannend!«, so Caro Jost, die den kleinen Laden, in dem einst Boulekugeln verkauft wurden, angemietet und einen Holzkasten eingebaut hat. Im begehbaren, nichtöffentlichen »Backstagebereich« befinden sich Erinnerungsstücke aus den Ausstellungen, die sie irgendwann einmal auch zugänglich machen möchte.

 

Gelegentlich kuratiert sie selbst, auch als Künstlerin war sie mal zu sehen, aber in der Regel tritt sie in den Hintergrund. Auch die räumliche und private Nähe zu Walter Storms, den man schnell als Strippenzieher im Verdacht haben könnte, spielt nach ihren Worten keine Rolle. Der Benefit dieses provisionsfreien Engagements? »Es macht wahnsinnig viel Spaß!« Das kann sich nur erlauben, wer gut in der Welt steht. Und das tut Caro Jost als international vernetzte Künstlerin mit zweitem Standbein in New York. Während die meisten Off-Spaces in München stark um die Münchner Kunstszene kreisen, ist Eyes Only ein Schaufenster zur Welt. Im Moment allerdings findet man sich Auge in Auge mit einer Installation von Peter Kogler wieder. Wortwörtlich, denn die psychedelischen Strahlen, die sich spiralförmig auf einen zubewegen und den kastenartigen Raum zu wölben scheinen, gehen von einem menschlichen Auge aus, das sich dreht, und damit den irritierenden Effekt auslöst. Der weltweit präsente österreichische Medienkünstler lehrt um die Ecke an der Münchner Kunstakademie. Ausgewählt wurde die Installation von der Berliner Kuratorin Friederike Nymphius.