Allgäuer Zeitung, Aus dem Kulturleben - Donnerstag, 15. Dezember 1994
Peter Reill und Nikolaus Müller stellen im Börsensaal aus
Kempten (no).
"Es geht schon wieder" nannten Peter Reill und Nikolaus Müller ihre Ausstellung, die noch bis zum 20. Dezember täglich von 11 bis 18 Uhr im Börsensaal des Kornhauses zu sehen ist. Ob damit das Ende einer künstlerischen Durststrecke gemeint ist, konnten wir nicht erkunden. Genauso ungewöhnlich wie der Titel ist jedenfalls, für Kemptener Verhältnisse, was die beiden Kunst-Studenten da präsentieren.
Man betritt den Raum und gewahrt ein umgedrehtes Riesen-Euter aus rosa Plüsch mit stramm aufgerichteten Zitzen. Unter der Rubrik "Sonderangebot" kleben Visitenkarten an der Wand, die Reill aus Londoner Telefonzellen mitnahm. "Tall, talented, young & lovely - the tantalising Madam Zandra" steht da, durch ein gezeichnetes Prachtweib ergänzt. "The hottest of all. South american style." Außerdem hat Reill diese verheißungsvollen Kärtchen in biedere Oma-Strumpfhosen hineingesteckt und einen "Wühltisch" zusammengestellt.
Auch die Werbeüberschriften, die an den Münchner Bildzeitungs-Verkaufsständern vom 3. März bis 26. Juli prangten, hat der 24jährige gesammelt und binden lassen. "Bild Dir Deine Meinung" heißt der Titel. Dahinter an der Wand hängen weitere Originale und auch Kombinationen, die man ohne großen Aufwand aus verschiedenen Schlagzeilen zusammenstellen kann ("Neue Chance: Mit Bild zum Mädchen-Mörder am Tegernsee").
17 Acrylbilder mittleren Formates zeigt Nikolaus Müller. Es erstaunt die Fähigkeit des 23jährigen, Farbschichten und Übermalungen wirken zu lassen und einen schon sehr eigenständigen Stil präsentieren zu können. Die Bilder halten sich wenig an herkömmliche Schönheitsbegriffe, haben etwas Schamanisches, mitunter sogar Abgründiges.
Zwischen diesen Bildern und Reills intellektuell gehaltenen Arbeiten entsteht ein gewisser Wiederspruch. Dem einen gefällt gerade das, der andere hätte sich gewünscht, daß Plastiken und Bilder stärker miteinander korrespondieren. Ein Kompliment verdient in jedem Fall, daß die beiden den Raum (auf eigene Kosten gemietet) respektierten, keine Heizkörper verdeckten, keine Zusatz-Lampen und Stellwände herangeschafften.